Gastkommentar von Matthias Platzeck in der FAZ vom 24.06.07
Der Zusammenschluss von PDS und WASG verändert das deutsche Parteiensystem – jedenfalls vorläufig. In dieser neuen Lage sollten Sozialdemokraten mit großem Selbstbewusstsein agieren. Viel kommt für die SPD jetzt darauf an, dass sie sich nicht auf das lafontainesche Muster krakeelender Konfrontation einlässt.
Schon die lauthals verkündeten Absichten der Lafontainelinken zeigen, wohin deren Reise geht. Da ist die Rede vom völlig "anderen System" als Ziel und vom "politischen Generalstreik" als Mittel. Gefordert wird die Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige. Lafontaines Partei hat sich nicht weniger vorgenommen als den Aufbau eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Ihr leuchtendes Vorbild ist das Regime des venezolanischen Populisten Hugo Chávez. Der ließ in seinem Land gerade erst den letzten oppositionellen Fernsehsender abschalten.
Die Partei, die solchen Vorbildern folgt, hat sich den Namen "Die Linke" gegeben. Wer sich so bezeichnet, beansprucht die exklusive Deutungshoheit darüber, was als "links" zu verstehen sei. "Links" soll künftig das sein, was Oskar Lafontaine gerade für links erklärt. Inhaltlich haben wir es hier mit einem verqueren und geschichtsblinden Begriff linker Politik zu tun. Vorbildlich "links" wären anderenfalls ab sofort revolutionäre Systemwechsel, massive Verstaatlichungen und südamerikanische Potentaten.
Das alles ist absurd. Das haltlose Gerede vom "Systemwechsel" hilft keinem einzigen Menschen in seinem konkreten Alltag auch nur ein Stück weiter. Wo sich Politik im Namen vermeintlich "linker" Ideale derartig diskreditiert, kann die Akzeptanz für jede aufgeklärte Fortschrittspolitik, die an historisch linke Ideen anknüpft, gleich mit beschädigt werden.
Deshalb müssen Sozialdemokraten gerade jetzt besonders offensiv für eine Politik eintreten, die sich an handfesten Lebens- und Aufstiegschancen für alle orientiert. Diese progressive Version linker Politik brauchen wir heute in Deutschland unbedingt – eine zwischen DDR und Venezuela irrlichternder Lafontainepartei leistet dazu keinerlei Beitrag.
Die SPD beginge einen schweren Fehler, würde sie sich auf einen Wettkampf in Lafontaines Lieblingsdisziplinen Demagogie und Ressentiment einlassen. Das positive Zukunftsprojekt der Sozialdemokratie muss stattdessen der Vorsorgende Sozialstaat sein. Dass sich zeitgemäße soziale Investitionen in Menschen und Infrastruktur auszahlen, wissen wir längst. Die effizientesten, wohlhabendsten und gerechtesten Länder der Welt finden wir heute nicht in Südamerika, sondern in Skandinavien. Von diesen modernen Gesellschaften können wir lernen, von autoritären lateinamerikanischen Ölregimes nicht.
Noch etwas ist neu: Mit der Gründung der Lafontainelinken hat die PDS aufgehört zu existieren. Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass die Postkommunisten im Osten Erfolg hatten, weil sie besonders "links" oder "sozialistisch" gewesen wären. Vielmehr wurde die PDS im Alltag als Partei der pragmatischen Kümmerer erlebt. Man musste die Ex-SED nicht mögen – eine eingewurzelte "Heimatpartei" des Ostens war sie durchaus. Mit der Majorisierung der PDS-Genossen durch hartgesottene westdeutsche Funktionäre ist das vorbei. Für die SPD ergeben sich daraus in Ostdeutschland ganz neue Chancen.
Klar ist: Eine Koalition der SPD mit den Lafontainelinken ist angesichts Ihrer illusionistischen Politik undenkbar. In den ostdeutschen Ländern hatte sich die PDS zu einer realistischen politischen Kraft entwickelt. Die nächste Zeit wird zeigen, ob sie auch hier dem Lafontainekurs folgt.
Was für die Menschen in Deutschland aber wirklich zählt, sind konkrete Ergebnisse, wirkliche Lebens- und Aufstiegschancen für alle. Das ist die große "linke" Aufgabe im 21. Jahrhundert. Welchen Namen das historische Projekt der SPD in Zukunft tragen soll? "Sagt doch einfach ‚soziale Demokratie’", empfahl einst Willy Brandt. Ich finde, das bleibt ein richtig guter Rat.